Nachhaltige Veränderungen brauchen politischen Willen – vom Baciata zur Politikwissenschaft
Facts
Name: Philipp Mendoza
Beruf: Politikwissenschaftler, forscht an der Amsterdamer “School of Communication Research”
Einsatzort: Cartagena, Kolumbien
Einsatzstelle: Stiftung Madre Herlinda Moises
Einsatzzeitraum: 2013 - 2014
Als ich mit 16 von einem Kollegen erfuhr, dass es einen sogenannten Auslandszivildienst gibt, ließ mich der Gedanke nicht mehr los. Mit lateinamerikanischen Wurzeln und einem guten Spanischverständnis dank meiner Schule war mein Plan klar: Ab nach Kolumbien und zwar nach Cartagena zur „Fundación Madre Herlinda Moises“.
Die ersten Eindrücke waren überwältigend und befremdlich zugleich: In Sichtweite moderner Wolkenkratzer standen Häuser gebaut aus Latten gebrauchter Paletten. Die nächsten 12
Monate war ich in Pasacaballos in verschiedenste Projekte und Aufgaben eingebunden: erledigte Behördengänge, konzipierte und setzte ein Notfalltoilettenprojekt im nach der Schwester „Madre Herlinda Moises“ benannten Wohnviertel um und vieles mehr, mauerte und verputzte Wände der Schule, die damals gebaut wurde, arbeitete im Garten mit.
Einen Garten anzulegen hieß damals, sich erstmal mit der Machete durch den Busch zu schlagen. Und auch das war Teil davon.
Das Team vor Ort machte es mir leicht, mich wohlzufühlen und Fabian Oster, der damals noch die Stelle vor Ort leitete, half mir und meinen Arbeitskolleg*innen, mich für Werte und Normen in der kolumbianischen Karibikregion zu sensibilisieren und rettete uns so vor manchem Fauxpas. Auch wenn ich damals schon recht gut Spanisch konnte – zu verstehen, was die Menschen bewegt, war auch für mich anfangs nicht so einfach. Auch die Kulinarik passte – ich liebte die „Patacones“, die frittierten grünen Kochbananen, den Kokosreis, den frittierten Fisch, die köstlichen exotischen Früchte, die man teilweise bei uns gar nicht kennt.
Nach der Arbeit und am Wochenende war ich mit meinen Arbeits- und WG-Kolleg:innen viel mit Locals unterwegs, lernte Baciata, Merengue, Salsa und an meinem Geburtstag bewirtete ich meine
Freunde vor Ort mit „Vorarlberger Käsknöpfle“. Die Zeit in Kolumbien war eine Lebenserfahrung, die mehr wert ist als viel Geld und eine einzigartige Möglichkeit bietet, in eine andere Kultur einzutauchen.
Ich würde auch heute ohne Zögern wieder meine Koffer packen und den Sozialdienst in Kolumbien leisten, wenn auch mit einer anderen Einstellung. Zu Beginn meines Auslandsdienstes war ich stark davon überzeugt, dass ich mit diesem Dienst in erster Linie etwas für Menschen vor Ort tue, denen es um einiges schlechter geht als mir. Diese anfängliche Einstellung war jedoch bald nicht mehr vereinbar mit dem relativen Nutzen der Investition von Geldern in uns österreichische Jugendliche statt in ausgebildete Sozialarbeiter vor Ort, die ein viel besseres Verständnis der Herausforderungen und Dynamiken von Armut, Binnenflucht, dem Leben in einer von Zivilkrieg gespaltenen Gesellschaft haben und die damit auch deren Familie ernähren könnten.
Stattdessen machte ich einen Einstellungswandel durch und erkannte den Aufenthalt in erster Linie als eine Chance für meine persönliche Entwicklung und eine Verantwortung an. Eine Verantwortung, die gesammelten Erfahrungen und Geschichten wirken zu lassen. Die Einsicht in die Lebenserfahrung und Perspektive anderer ist meines Erachtens einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zu einer besseren Organisation von Beziehungen, Gesellschaften und Weltordnungen. So mag es erst unüberlegt erscheinen, wenn eine Familie, die in einem Haus aus Paletten lebt, einen Fernseher kauft. Wenn wir es jedoch schaffen, uns in die Lebensrealität einer von dem „Conflicto Armado“ vertriebenen Familie zu versetzen, verwandelt sich ein Fernseher schnell von einem Luxusgut zu einem Portal, durch das sie den Herausforderungen des Alltags in Armut und den Traumata des Krieges zumindest temporär entfliehen kann.
War es vor meinem Auslandszivildienst noch der Plan, Englisch oder Mathematik zu studieren, so wurde mir im Laufe der Zeit klar, dass ich mir für eine Verbesserung dieser Umstände erst ein besseres Verständnis der Dynamiken, die zu solchen Lebensrealitäten führen können, erarbeiten muss. Nach einem Jahr im Soziologiestudium in Wien wurde mir dann bewusst, dass es für Veränderungen auch einen politischen Willen braucht, und so begann ich mein Politikwissenschaftsstudium. Neben meinem Master und später dem Doktorat in Amsterdam begann ich mich für das Europäische Forum Alpbach zu engagieren. Auch dort begegnen sich Menschen zur gleichen Zeit am gleichen Ort in einem möglichst vorurteilsfreien Raum und schaffen wiederum eine geteilte Perspektive auf die größten Herausforderungen unserer Zeit.
Das Schaffen gemeinsamer Wirklichkeiten wurde so zu einem sprichwörtlichen roten Faden, der mich in meiner Erwerbs- wie auch Freiwilligenarbeit begleitet und antreibt.