Sabine und Franz, Armenien

Raus aus der Routine in ein neues Leben

Facts
Name: Sabine und Franz Schneeberger
Beruf: Sabine: Ernährungswissenschaftlerin/Diätologin, Franz: Wirtschaftsingenieur
Einsatzort: Gyumri/Armenien
Einsatzstelle:  Emils kleine Sonne
Einsatzzeitraum: 2023 - 2024
 

Sabine und Franz haben ihre sicheren Jobs an den Nagel gehängt, um zehn Monate lang in Armenien als Freiwillige in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen mitzuarbeiten. Wir wollten wissen, warum.

IFE: Ihr hattet beide bereits langjährige Berufserfahrung als ihr euch dazu entschlossen habt, euer bisheriges Leben hinter euch zu lassen und einen Freiwilligeneinsatz zu machen. Was hat euch dazu bewogen?
Sabine: Die Idee entstand aus einem Gespräch. Als Ernährungswissenschafterin und Diätologin wollte ich schon während des Studiums in Ernährungsprojekten in Ländern des
globalen Südens mitwirken. Der richtige Zeitpunkt dafür bot sich 2023, als mein Mann und ich einen Jobwechsel ins Auge fassten und über unsere Lebensziele nachdachten.
Dass mein Mann sofort zustimmte, war überraschend für mich.

Franz: Ich war bereits während meines Studiums für einen Monat in Brasilien und habe dort ein Freiwilligenprojekt mit Kindern unterstützt. Es war eine tolle Erfahrung und ich konnte mir gut vorstellen, wieder bei einem Projekt vor Ort mitzuarbeiten. Dass sich fast 20 Jahre später die Möglichkeit ergab, ein solches Projekt gemeinsam mit meiner Frau zu machen, war natürlich eine perfekte Gelegenheit.

IFE: Wie habt ihr euch organisiert, damit dies Realität werden konnte?
Franz: Meine Schwester hat über Horizont 3000 für mehrere Jahre in Afrika gearbeitet. Wir haben zuerst mit ihr gesprochen und sie hat uns auf die Freiwilligenmesse in St. Pölten aufmerksam gemacht. Wir sind dann mit ihr gemeinsam hingefahren und dort auf die Organisation „Internationaler Freiwilligeneinsatz“ gestoßen.

Sabine: Die nächsten Schritte gingen recht schnell. Wir haben Kontakt mit Geraldine von der Organisation „Internationaler Freiwilligeneinsatz“ aufgenommen und an einem online Informationsabend teilgenommen. Danach gab es ein längeres Telefonat und wir sendeten unsere Bewerbungen an die Organisation. Da uns wichtig war, unsere berufliche Erfahrung in unsere Auslandstätigkeit einzubringen, wurden wir an Organisationen übermittelt, die Personen im technischen Bereich und im Bereich Ernährung suchten. Über die Caritas Vorarlberg sind wir dann zu unserem Einsatzort in Armenien gekommen.

IFE: Warum habt ihr euch für dieses Projekt entschieden. Was macht „Emils kleine Sonne“ besonders für euch?
Franz: Wir hatten uns vorab überlegt, welche Kriterien uns wichtig sind für unsere Entscheidung und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir auf jeden Fall unsere berufliche Erfahrung miteinbringen möchten. Sprache und Land rückten für uns in den Hintergrund. Sabine: Wir hatten Gespräche mit Projekten in Rumänien, Afrika, Südamerika und Armenien. Tigranuhi, die Direktorin des Projekts „Emils kleine Sonne“ in Armenien hat uns sofort konkrete Arbeiten aufgezählt, die im kommenden Jahr auf sie zukommen und wo sie Unterstützung benötigten. Wir konnten uns ein
gutes Bild davon machen, wie wir uns einbringen können und somit fiel die Wahl auf Armenien.

IFE: Wie sah euer Arbeitsalltag aus, was hat euch an eurer Arbeit am besten gefallen, am Leben vor Ort?
Sabine: Unser Arbeitsalltag begann recht entspannt mit einem gemeinsamen Frühstück mit dem Küchenpersonal um 9 Uhr. Ich habe in den zehn Monaten meist in der Küche geholfen. Zuerst um die armenische Küche besser kennenzulernen, danach, um ein paar Adaptierungen vorzunehmen und diese gesünder zu gestalten. Später kamen noch Workshops mit den Therapeut*innen
und Mamas dazu. Da die Apfelund Tomatenernte recht groß war, mussten wir uns ein paar Ideen einfallen lassen, um die Ernte zu konservieren. Dabei hat uns der Trockenschrank des Emili Aregak
Centers wertvolle Dienste geleistet und es kamen gute, neue Kreationen wie Apfelleder mit verschiedenen Geschmacksrichtungen heraus, die wir in der Vorweihnachtszeit in der „Emili Aregak Bakery“ verkauften. Dort wo Arbeit angefallen ist, haben wir angepackt, aber auch Ideen und Verbesserungsvorschläge eingebracht und gleich umgesetzt. So konnte ich meine Arbeit frei gestalten und gemeinsam mit Kolleg*innen kreative, neue Lösungen erarbeiten. Diese Abwechslung war toll.

Franz: Meine Arbeit fand in den Sommermonaten vor allem im Freien statt. Vom Rasenmähen bis zur Reparatur der vorhandenen Maschinen war alles dabei. Da viele Maschinen aus Österreich geliefert wurden, musste ich auch die Ersatzteile aus Österreich bestellen. Vieles gibt es in Armenien einfach nicht. Spannend wurde es auch im Herbst mit dem Bau des 920 m² großen Gewächshauses und der Erweiterung der Solaranlage um 50kWp. Von der Planung über die Ausschreibung und dem Angebotsvergleich bis hin zu Lieferantengesprächen und Endverhandlungen durfte ich überall dabei sein und mein Know-how einbringen. Im November begannen dann die Bauarbeiten und Ende Dezember standen das Gewächshaus und die neue PV-Anlage.

IFE: Wie konntet ihr eure beruflichen Erfahrungen einbringen? Welche Einblicke habt ihr gewonnen?
Sabine: Das Ziel meiner Arbeit war es, die Ernährung für die Kinder, die in der Tagesstätte betreut wurden, gesünder und bedarfsgerecht zu gestalten. Dabei muss ich vorwegnehmen, dass die Küche bereits sehr gut war. Nicht nur geschmacklich. Sie war abwechslungsreich und enthielt Gemüse, Obst, Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett. Die Schrauben, an denen wir noch gedreht haben,
waren Quantität und Qualität mancher Lebensmittel, zB eine Zuckerreduktion im Saft, mehr pflanzliche Öle statt Mayonnaise usw. Dabei kam es doch zu sehr spannenden Erfahrungen aufgrund kultureller Unterschiede und sprachlicher Hürden.

IFE: Kannst du uns ein Beispiel nennen?
Sabine: Die Zuckerreduktion im armenischen Saft der als „Kompott“ bezeichnet wird, war ein Vorhaben, das sich über Monate zog und immer wieder Rückschritte mit sich brachte. Nach Ausbruch des Berg-Karabach-Krieges im Jahr 2020 stiegen die Preise für Mehl und Zucker so stark an, dass die Menschen sich diese kaum leisten konnten. Die „Angst“, dass Zucker nicht mehr verfügbar ist
oder „weggenommen“ wird, sitzt tief. Deshalb haben wir den Zucker nur in sehr kleinen Schritten reduziert. Das ist auch das Vorgehen, das wir in österreichischen Betriebskantinen vorschlagen. Die Zunge spürt eine kleine Zuckerreduktionen nicht und gewöhnt sich somit ohne große Umstellung an diese Reduktion. Nach ein paar Wochen wird weiter reduziert. Die Skepsis bezüglich dieses Versuches war sehr, sehr groß und unsere Küchenchefin sehr nervös bei jeder weiteren Reduktion. Deshalb habe ich dann auch recht schnell auf eine Schulung der Therapeut*innen bestanden, um sie über diese und weitere Änderungen aufzuklären. Es hat mir gezeigt, dass ein simples Projekt aufgrund kultureller Unterschiede und Erfahrungen andere Herangehensweisen und viel Verständnis benötigt.

Franz: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe dann die HTL für Maschinenbau besucht. Mit dieser Kombination gibt es im EAC immer etwas zu tun ;-) Das Gelände umfasst ca. vier Hektar, auf dem bereits ca. 1.000 Bäume gepflanzt wurden. Zu Beginn unseres Einsatzes haben wir das Bewässerungssystem für die Bäume fertiggestellt. Dies war sehr wichtig, da es im Sommer monatelang nicht regnet und Temperaturen über 30 Grad keine Seltenheit sind. Da ist es wichtig, die Pflanzen mit ausreichend Wasser zu versorgen. In diesem Fall geschieht dies mit Wasser aus dem eigenen Brunnen, der sich auf dem Gelände befindet. Zur Bearbeitung dieser Fläche werden natürlich auch einige Maschinen benötigt. Damit diese möglichst lange einsatzbereit sind, müssen sie entsprechend gewartet und bei Bedarf auch repariert werden. Hier konnte ich meine Erfahrungen mit allen möglichen Maschinen und Geräten gut einbringen.
Eines ist mir besonders aufgefallen. Dinge, die bei uns ganz normal sind, sind nicht automatisch überall auf der Welt selbstverständlich. Eines meiner ersten Erlebnisse war das Fehlen eines einfachen Reifenflickzeugs. Bei dem großen Rasenmäher waren 2 von 4 Reifen platt und mussten repariert werden. Es war nicht einfach, Vulkanisierflüssigkeit und die nötigen Reifenflicken zu
bekommen. Einen halben Tag später waren die Kollegen überrascht, dass man nach nur 15 Minuten den Reifen wieder mit Luft befüllen und weiterarbeiten konnte. In Armenien macht
man das sonst mit einer Art Vulkanisierung unter Druck und Temperatur, bei der man mehrere Stunden warten muss. Ein anderes Thema waren die Ersatzteile für einen ganz normalen Rasenmäher. Ersatzteile dafür bekommt man nicht einmal in der Hauptstadt Jerewan. Deshalb habe ich sie in Österreich bestellt und unser neuer Kollege Fabian aus Vorarlberg hat sie dann bei seinem Dienstantritt mitgenommen. Erfahrungen dieser Art habe ich immer wieder mal gemacht. Mir wurde dadurch bewusst, dass es oft am notwendigen Material und manchmal auch am notwendigen Wissen fehlt, das für uns selbstverständlich und alltäglich ist.

IFE: Habt ihr vor Ort Freundschaften geschlossen, hattet ihr besondere Begegnungen, die Eindruck interlassen haben?
Sabine: Ja natürlich. Wenn man für längere Zeit im Ausland lebt und arbeitet, dann schließt man auch Freundschaften. Ich habe immer noch Kontakt mit meinen Kolleginnen aus der Küche und mit ein paar Therapeut*innen. Und natürlich mit meiner Dolmetscherin Jemma, die mir bei den Workshops mit den Mamas zur Seite stand.

Franz: Neben den Kontakten im Zentrum hatten wir auch außerhalb schöne Begegnungen. An einem Wochenende sind wir zum Beispiel zum Kloster Marmashen gegangen. Das war ungefähr 2,5 Stunden entfernt. Als wir dort waren und nach der Besichtigung den Rückweg antraten, fing es an zu regnen. Eine Familie mit zwei Kindern war so nett und hat uns gefragt, ob wir mit ihnen in die Stadt mitfahren wollen. Wir sprangen sofort ins Auto. Ein paar Meter weiter waren noch drei Frauen mit einem Hund unterwegs und die wurden auch eingepackt. So waren wir auf einmal sieben Erwachsene, zwei Kinder und ein Hund in einem Auto Ein anderes Mal hat es bei einer Wanderung wieder angefangen zu regnen. Diesmal waren wir aber auf einem Feldweg unterwegs und
weit und breit war kein Unterstand und Regenjacken hatten wir leider auch keine dabei. Wir wurden aber von einigen Feldarbeitern gesehen, die uns kurzerhand mit ihrem Lada entgegenfuhren und uns in ihrem Auto Unterschlupf gewährten. Diesmal waren wir sieben Erwachsene in einem kleinen Lada 1200 und hatten viel Spaß, obwohl wir kaum ein Wort Armenisch verstanden. Das hat uns
einen tiefen Einblick in die armenische Gastfreundschaft und Herzlichkeit gegeben.

Sabine: Außerdem waren wir immer bei den Feiern von Kolleg*innen oder vom Center eingeladen. Im Sommer haben Marietta und Vartan geheiratet, zwei Gruppenleiter des Emili Aregak Centers. Wir waren zur Hochzeit eingeladen, das war ein tolles Erlebnis. Bei der Weihnachtsfeier war es auch super, denn wir waren bei der Feier der Volunteers und bei jener der Mitarbeiter*innen eingeladen. Wir wurden doch mehr als Mitarbeiter*innen gesehen. Und zum Schluss haben unsere Kolleg*innen uns mit einem Abschiedsessen und einem Abschiedsfest überrascht. Das war echt rührend.

IFE: Was nehmt ihr für euch mit, zB an Erfahrungen?
Sabine: Gelassenheit. Es relativiert sich vieles. Dinge, die wir oft als Probleme sehen, sind gar keine verglichen mit dem Leben in Armenien. Aber ich genieße auch die Struktur und Organisation in Österreich. Schon als ich am Flughafen in Wien in ein Taxi gestiegen bin, war ich hin und weg. Die Gurte haben funktioniert, im Auto haben keine Warnsignale geleuchtet und die Straßen waren frei von Schlaglöchern. Das genieße ich jetzt richtig. Auch die gepflegten Straßen und Felder hier in Österreich. Es überrascht mich immer wieder, welche Dinge ich plötzlich schätze, denen ich vorher keine Beachtung geschenkt hatte.

Franz: Auch ich weiß viele Selbstverständlichkeiten in Österreich jetzt viel mehr zu schätzen. Ich kann jedem nur gratulieren, der in dieser sicheren und sauberen Umgebung geboren und aufgewachsen ist und hier leben darf. Das ist nicht selbstverständlich und es hätte auch ganz anders kommen können. Es ist beeindruckend, wie lebensfroh und positiv die Menschen in Armenien trotz vieler negativer Erfahrungen sind. Wir haben von so vielen Schicksalsschlägen gehört und gesehen, wie wenig die meisten Menschen in Armenien zum Leben haben. Trotzdem teilen sie das Wenige, das sie haben, mit ihren Gästen. Diese Gastfreundschaft und Herzlichkeit hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

IFE: Wenn ihr die Augen schließt und an den Einsatzort, an die Menschen, deine Arbeit denkt: Kommen da innere Bilder oder Geräusche? Wenn ja, welche?
Sabine: Ja, da kommt ein ganzer Film würde ich sagen. Ausflüge, die wir mit Arbeitskolleg*innen oder auch den Kindern und Jugendlichen des Centers gemacht haben, unsere Wanderungen, unsere Urlaubsreisen durch Armenien und nach Georgien. Das Lachen der Kinder im Zentrum ist mir auch noch sehr gut in Erinnerung. Aber auch die Stille werde ich nie vergessen. Es war die
Stille, die am 19. September 2023 im Zentrum eingetreten ist, als der Krieg zwischen Aserbaidschan und Berg-Karabach neu aufflammte. Es war Mittagszeit und plötzlich hat niemand ein Wort gesprochen. Dieser Schockzustand hat mehr als eine Woche angedauert. Keiner wusste, wie es weitergeht. Viele Kolleg*innen hatten Verwandte, Söhne, Brüder, Cousins, die zu dieser Zeit ihren
Militärdienst absolvierten und sie wussten nicht, ob sie diese wiedersehen würden.

Franz: Passend dazu kommen bei mir die Bilder von unserem Kochprojekt für Karabach-Flüchtlinge, das kurzfristig ins Leben gerufen wurde. Normalerweise werden ca. 70 Mahlzeiten pro Tag zubereitet. In dieser Zeit wurden zusätzlich 450 Mahlzeiten pro Tag für die ankommenden Flüchtlinge aus Berg-Karabach gekocht. Alle mussten mithelfen, sonst wäre das nicht möglich gewesen.
Aber dieses Projekt hat auch wieder Mut, Hoffnung und Lachen ins Zentrum gebracht. Und gemeinsam kann man ja bekanntlich Unmögliches möglich machen. Daneben sind es die Bilder von der wunderschönen Landschaft, von den vielen Erlebnissen und Reisen und von der Dankbarkeit und Freundlichkeit, die uns immer wieder entgegengebracht wurde.
 
Hier geht‘s zum Blog von Sabine und Franz:
www.volunteering-aregak.org/