Vincent - Jerusalem

Friedensdienst im Heiligen Land 
Jerusalem - der perfekte Ort, um über sich hinauszuwachsen 
 

Facts
Name: Vincent Adali
Einsatzort: Jerusalem
Einsatzstelle: Österreichisches Pilger-Hospiz
Einsatzzeitraum: 2024 - 2025

Schon sind wir mitten im Verkehrsgetümmel: im orientalischen Verkehr, wo von beiden Seiten überholt wird, Mopeds im letzten Moment noch in eine Lücke schlüpfen und Gehupe und Herumfuchteln
an der Tagesordnung sind - Ampelfarben gelten eher als Empfehlung. Letzte Hürde: Löwentor - eine muslimische Hochzeit mit Autokorso. Alle Fahrzeuge sind in der engen Gasse verkeilt, die Fahrer steigen aus und diskutieren sich den Vorrang aus. Während Fußgänger sich einmischen, klappen wir erst mal die Seitenspiegel ein.

Das Hospiz hat Geschichte, das merkt man: der Ausblick von der Dachterrasse, die Bilder an den Wänden, die Kapelle, die Räume. Und dann ist da noch das selbstgebackene Brot - warm und himmlisch im Geschmack. Die Atmosphäre hier ist schon sehr fein, man spürt Geborgenheit und Freundlichkeit. 

Jerusalem, Altstadt: Heute will ich es ruhiger angehen, schlendere durch die engen Gassen mit ihrem geschäftigen Treiben, den Kiosken, Obst- und Gemüseständen. Es riecht nach Jasmin, dann wieder nach Gewürzen, ein Shisha Lokal bringt eine Wolke aromatischen Tabakduftes. Es ist laut, Gesprächsfetzen, derweil verstehe ich noch kein Arabisch, es klingt kehlig und ganz anders als wir es gewohnt sind.
Die Gebetsbereiche bei der Klagemauer sind getrennt, auf der Holzbalustrade am Weg zum Security Check vor dem Tempelberg sehe ich eine Reihe Mädchen zum Gebetsbereich der Männer hinüberspechteln. Das bringt mich zum Schmunzeln, die kleinen jüdischen Mädchen mit Schleife im Haar und Faltenrock stehen wie aufgereiht auf Zehenspitzen an der Balustrade und beobachten die Männer beim Gebet.

Am Abend findet im Salon der Vortrag von Dr. Rockenschaub statt, er hat sich kurz entschlossen bereit erklärt, im Hospiz einen Einblick in seine Arbeit zu geben.
Dr. Rockenschaub ist Chefkoordinator der WHO für gesundheitliche Notlagen, hat jahrelang im Westjordanland und im Gazastreifen gearbeitet und ist jetzt, obwohl er eigentlich bereits in Pension ist, wieder zurückgekehrt, weil er als Krisenmanager gebraucht wird. Es ist unfassbar, was hier passiert und trotzdem gibt es Menschen wie ihn, die ihr Leben riskieren für das Gute.

Immer wieder setzt man sich mit solchen schwierigen Themen auseinander und bemerkt, dass an diesem Ort alles besonders intensiv ist. Die Emotionen verstärken sich. Man findet hier nicht einfach nur Schwarz-Weiß, sondern alle Weiß- und Grautöne bis zum dunkelsten Schwarz. Mittendrin in diesem Wimmelbild dann solche Menschen wie Gerald Rockenschaub. Das gibt Hoffnung. 

Auch meine Eltern waren bereits zu Besuch und unter anderem in Bethlehem: Wir sehen einen Karren mit arabischem Kaffee. Zögerlich nähern wir uns, ich spreche Arabisch, bestelle drei Kaffee mit Kardamon und plötzlich scharen sich Menschen um uns. Alle sprechen durcheinander, lachen uns an, geben uns die Hand und heißen uns willkommen. Manche klopfen mir auf die Schulter.. Als sie noch erfahren, dass meine Mutter zwei Kinder hat, sind sie restlos begeistert. Es ist eine intensive, herzliche Atmosphäre, wir schlürfen unseren Kaffee, er ist heiß, aromatisch und der Kaffeeduft belebt uns. In unzähligen Fällen kommt es gut an, wenn sich ein Ausländer die Mühe macht, Arabisch zu
lernen. Man zeigt Wille, sich mit Sprache und Kultur auseinanderzusetzen, man zeigt Respekt. Vor allem, wenn man sich dann noch mit dem palästinensischen Dialekt, den man im Rahmen des Hospizes lernen kann, zu Wort meldet. 

Es ist auch wirklich belohnend, nach einer Zeit durch Grundkenntnisse des Arabischen einen privilegierten Einblick in die Mentalität zu bekommen. Besonders in Erinnerung ist mir geblieben, dass man auf arabischen Informationstafeln im israelischen Teil Jerusalems, wenn es um die palästinensischen Gebiete geht, nie der Name Palästina fällt, sondern nur das neutralere „balatna“ = unser Land.

Umso mehr bin ich davon überzeugt, dass man die Gesinnung eines Menschen und vor allem eben die einer ganzen Gesellschaft erst vollständig verstehen kann, wenn man ihre Sprache spricht und lernt, den Subtext zwischen den Zeilen zu lesen. 

Am Weg zur Milchgrotte besuchen wir noch einen orthodoxen Friedhof, auch hier erfahren wir eine Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich nicht erwartet hätte. Wir genießen den Blick über die Stadt und besuchen nun das sagenhafte Heiligtum. Unser Weg führt uns jetzt zur Mauer, die 15 m hohe Separation Wall. Es herrscht ein Verkehrsgetümmel, an beiden Seiten der doppelten Fahrspur, laut, chaotisch. Und wieder, unzählige Zurufe aus fahrenden Autos mit einer Lebensfreude: „Welcome to Palestine“ und freundliches Winken, ich bin überwältigt.

Wieder spüre ich diese fragile Ruhe und wie kontrovers und kompliziert das Ganze ist.